Wodurch wird Sprache Geschlechtern gerecht?

Die Bezeichnung „geschlechtergerecht“ wird gern von Befürwortern dieser Sprachform verwendet, wobei häufig unklar bleibt, worin diese Gerechtigkeit besteht. Dieser Frage versucht das Wissenschaftsjournal „Quarks“ des Westdeutschen Rundfunks (WDR) auf den Grund zu gehen und veröffentlicht am 26. März 2021 einen Artikel in der Rubrik „geschlechtergerechte Sprache“ mit dem Titel „Was Gendern bringt – und was nicht “. Aufgrund der Einordnung lässt sich leicht erahnen, dass den Lesern das Gendern schmackhaft gemacht werden soll. Um als ausgewogen zu erscheinen, enthält dieser Artikel auch einige kritische Aspekte, die gegen das Gendern sprechen, geht jedoch nicht auf wesentliche Erkenntnisse der Linguistik ein. Daher folgt hier eine kritische Auseinandersetzung mit einigen Kernthesen dieses Artikels.

Wie kann mehr Gerechtigkeit zu massiver Ablehnung führen?

Wenn Gendern tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit führt, muss man sich fragen, woran die überwältigende Ablehnung liegt, die sich in repräsentativen Umfragen dazu immer wieder zeigt. Beispielsweise stimmten fast 26 000 Leute bei einer repräsentativen Umfrage des Mitteldeutschen Rundfunks  (MDR) über die Verwendung von Gendersprache ab. Das Ergebnis war eine massive Ablehnung. Selbst bei den Frauen konnten sich 82% nicht für das Gendern begeistern. Laut „Quarks“ entsteht diese Ablehnung z. T. dadurch, dass man sich von in der Kindheit erlernten Sprachregeln lösen muss, um Gendersprache zu verwenden. Dadurch komme es zu inneren Widersprüchen, die zu überwinden seien.

Welche Aussagekraft haben psycholinguistische Studien?

Im Wesentlichen stützt sich „Quarks“ in seiner Argumentation auf häufig zitierte psycholinguistische Studien. Diese erklären, Sprache erzeuge Bilder im Kopf, die häufig durch ein langwieriges Patriarchat männlich geprägt seien und deren Überwindung daher anzustreben sei.

Allerdings kann jeder Deutsch-Muttersprachler die Ergebnisse psycholinguistischer Analysen leicht bei sich selbst überprüfen. Woran denkt man bei Sätzen wie den folgenden?

  • Schüler bekommen Hitzefrei.
  • Dieser Schüler hat grüne Augen.
  • Meine Eltern sind Lehrer.
  • Als Lehrer muss man stets authentisch und kompetent wirken.
  • Die meisten Lehrer sind Frauen.
  • Da drüben steht mein Lehrer.

Wir überlegen uns dazu:

  1. Bei welchen dieser Sätze geht es ums Geschlecht?
  2. Bei welchen spielt das Geschlecht keine Rolle?
  3. Wodurch entsteht am ehesten Geschlechtergerechtigkeit – durch den Hinweis auf das Geschlecht oder wenn dieses Merkmal für einen Sachverhalt als irrelevant erscheint?

Dass die Aussagekraft psycholinguistischer Studien eher beschränkt ist, fasst Tobias Kurfer am 22. Juli 2022 in einem Beitrag der Berliner Zeitung  zusammen. Laut Kurfer enthielten solche Studien häufig methodische Mängel, die beobachteten Effekte seien meist als gering einzustufen und die Probandengruppen seien in vielen Fällen Studenten der eigenen Seminargruppe der jeweiligen Autoren und dadurch ggf. voreingenommen.

Wenig beachtete linguistische Aspekte

Auf Erkenntnisse der Linguistik geht der Beitrag in „Quarks“ lediglich dadurch ein, dass die Kernthese der feministischen Sprachkritik reproduziert wird.

So heißt es, das „generische Maskulinum“ sei eine „grammatisch männliche Form“. Hierzu sei angemerkt, dass das Maskulinum weder inhärent generisch noch eine grammatisch männliche Form ist. Das Maskulinum kann im Deutschen generisch verwendet werden. Es wird jedoch sehr spezifisch, sobald es um Einzelpersonen geht, wie das obige Beispiel „da drüben steht mein Lehrer“ zeigt. Hier ist klar ein Mann gemeint, und eine generische Nutzung nicht sinnvoll, weil im Falle einer Frau im Deutschen an dieser Stelle von einer „Lehrerin“ gesprochen würde. Das Maskulinum als „grammatisch männliche Form“ zu bezeichnen, ist auch deshalb inkorrekt, weil dadurch eine Übereinstimmung von Genus und Sexus impliziert wird. Da es maskuline Wörter gibt, die biologisch weibliche Wesen bezeichnen, wie „der Vamp “ (eine besonders attraktive Frau), kann diese Behauptung verworfen werden.

Weiterhin wird indirekt behauptet, das Maskulinum generisch zu verwenden, sei eine recht junge Entwicklung, die auf männliche Dominanz in Berufsgruppen wie der der Richter zurückgehe. Das generisch angewendete Maskulinum müsse also deshalb ein Ausdruck des Patriarchats sein, weil ein ausgeprägtes Berufsleben erst spät in der Menschheitsgeschichte entstand. Allerdings kann diese Annahme mittlerweile als widerlegt angesehen werden, wie die Sprachwissenschaftler Ewa Trutkowski und Helmut Weiß über die erste systematisch durchgeführte Studie zum Thema am 25. April 2022 in der WELT  berichten.

Diese Sichtweise teilen zahlreiche namhafte Philologen, die im Sommer 2022 eine gemeinsame Erklärung zum Thema unterzeichnen. Auch darüber berichtet die WELT .

Nicht diskutiert wird seitens „Quarks“ der Fakt, dass im Deutschen auch für maskuline Begriffe im Plural der feminine Singularartikel „die“ genutzt wird (z. B. „die Frisöre“), oder dass auch Männer mit dem feminin anmutenden Pronomen „Sie“ angeredet werden. Bevor dieses eingeführt wurde, war es auch „Ihr“. Daran zeigt sich ein fein justiertes und zwischen den Geschlechtern ausbalanciertes Sprachsystem.

Interessant ist auch die Behauptung, man könne maskuline Begriffe wie „die Lehrer“ durch vermeintlich neutrale wie „die Lehrkraft“ ersetzen, wobei übersehen wird, dass dies ein feminines Genus hat. Warum sollte ein Femininum geschlechtsneutral, ein Maskulinum jedoch als rein männlich gelten?

Fazit

Was nützt es im realen Leben, „offener über Geschlechterrollen [zu] denken“, wenn sogar „Quarks“ in seinem Artikel einräumt, dass solche Länder, deren Sprache natürlich geschlechtsneutral gewachsen ist, weder generell gerechter noch fortschrittlicher bezüglich Geschlechteraspekten sind? Es bleibt die ungeklärte Frage im Raum, wessen Leben sich tatsächlich durch das Gendern in der Sprache verbessert.