Was ist feministische Sprachkritik?

Sicher ist Ihnen kaum entgangen, wie hitzig und emotional die Debatte um die Gendersprache geführt wird. Doch was ist der eigentliche Ausgangspunkt dieser Diskussion? Das möchten wir hier kurz beleuchten.

Nehmen wir folgenden Beispielsatz: „Viele Einwohner Brasiliens tanzen gerne Samba.“

Nun begeht die feministische Sprachkritik folgenden – offensichtlich bewussten – Denkfehler, indem sie sagt: Das Wort „Einwohner“ hat maskulines Genus, somit könne man damit ausschließlich Männer meinen. Frauen seien also sprachlich unsichtbar. Dieses Gedankengut kam hauptsächlich in den 1970er und 1980er Jahren auf und wird seitdem vehement zu verbreiten versucht. Behauptet wird: Wenn Frauen genauso sichtbar sein sollen, dann müsse der Beispielsatz lauten: „Viele Einwohnerinnen und Einwohner Brasiliens tanzen gerne Samba.“

Doch die Sprachwissenschaft lehrt uns, dass dies eine Fehlannahme ist, denn „die Einwohner“ bezeichnet gar kein biologisches Geschlecht, es sind also Personen jeglichen Geschlechts gemeint, die in diesem Fall ein Land bewohnen.

Und dass die grammatischen Geschlechter als MaskulinumFemininum und Neutrum bezeichnet werden, ist letztlich auch nur ein historisch bedingter Zufall. Man hätte sie genauso Genus ①, ② und ③ nennen können.

Man stelle sich vor, in der Musik sprächen wir nicht von Dur und Moll, sondern hätte stattdessen die beiden Tongeschlechter männlich und weiblich genannt. Hätten Feministen dann zum Ziel, dass keine Stücke in Dur-Tonarten mehr gespielt werden, weil sie das Patriarchat repräsentierten? Das wäre sicherlich als ziemlich abwegig anzusehen.

Die sprachwissenschaftliche Forschung hat zudem bewiesen, dass Wörter wie „die Lehrer“, „die Nachbarn“ oder „die Feinde“ schon immer alle Geschlechter einbezogen haben.

Wenn also von „den Einwohnern“ die Rede ist, dann sind automatisch alle Geschlechter gemeint und keine Gruppen nur mitgemeint. Die Gendersprache ist in solchen Zusammenhängen also überflüssig.

Gendersprache wäre nur dann sinnvoll, wenn daraus ein relevanter Informationsgewinn im Zusammenhang mit einer eng umgrenzten, konkreten Personengruppe resultierte. Das ist aber hier nicht der Fall, denn wir wissen ja, dass die Einwohnerschaft Brasiliens nicht nur aus Männern besteht, und dass Samba typierscherweise auch nicht nur Männer untereinander tanzen. Folglich ist hier „viele Einwohner“ völlig korrektes und diskriminierungsfreies Deutsch.

Was ist feministische Sprachkritik? – Anny Curie

Die feministische Sprachkritik geht davon aus, dass Frauen im Deutschen erst »sichtbar« gemacht werden müssten. Aber handelt unsere Sprache denn stets von Geschlechtern?

Quellenangabe

  1. Senta Trömel-Plötz (1978). Linguistik und Frauensprache. In: Linguistische Berichte. Band 57, S. 49–68.
  2. Luise F. Pusch (1984). Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 31.
  3. Ewa Trutkowski und Helmut Weiß (2022). Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen. Erscheint in Linguistische Berichte. https://ling.auf.net/lingbuzz/006520/current.pdf
  4. Ewa Trutkowski und Helmut Weiß (2022). Seit 1000 Jahren können Frauen auch Sünder, Richter und Freunde sein. WELT online vom 25.04.2022. Erscheint in Linguistische Berichte. https://www.welt.de/kultur/plus238287549/Gendern-und-Grammatik-Seit-1000-Jahren-koennen-Frauen-auch-Freunde-sein.html